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Interview mit m(einem) Vampir

verfasst von Heike Rissel

Es war wieder einmal spät geworden. Ich saß an meinem Schreibplatz im Esszimmer und grübelte über eine Szene für mein neues Manuskript. Die Nacht war sternenklar und wundervoll lau. Das silbrige Licht des Vollmonds fiel durch die weit geöffneten Fenster und beleuchtete meine Umgebung in ausreichendem Maße, so dass ich auf die elektrische Beleuchtung verzichtet und lediglich einige Kerzen aufgestellt hatte. In dieser romantischen Umgebung sollte es mir also nicht schwer fallen, einige vernünftige Sätze zu Papier zu bringen.
     Plötzlich verdunkelte eine Wolke den Mond. Es wurde kühl im Raum und der Nachtwind wehte die leichten Vorhänge weit ins Zimmer hinein. Ich drehte mich um, um die Terrassentür zu schließen, da schrak ich heftig zusammen. Das flackernde Kerzenlicht gaukelte mir eine dunkle Silhouette in der geöffneten Tür vor. Mein Herz machte einen erschrockenen Sprung, da blies der Wind die Wolken vom Nachthimmel und das Licht des Mondes fiel nun auf die dunkle Gestalt. Eine große dunkle Gestalt! Ganz in Schwarz gekleidet und mir sonderbar vertraut. Lässig, mit überkreuzten Beinen und verschränkten Armen, lehnte sie sich gegen die Türbrüstung. Das war – aber das war doch unmöglich – Raffael???!!! Ich öffnete meinen Mund zu einem verspäteten Schrei, aber schon einen Wimpernschlag später stand er vor mir und legte mir mit verschwörerischer Miene den Zeigefinger auf die Lippen. Verstört hielt ich inne.
     »Du willst doch wohl nicht das Haus wecken, meine Liebe?«, schmeichelte seine samtige dunkle Stimme meine Sinne.
     Ich blickte ihm in die amüsiert funkelnden Augen und musste aufpassen, um nicht in deren blauen Tiefen zu versinken. Ich räusperte mich und fragte konsterniert: »Du bist eine Sinnestäuschung. Das kann überhaupt nicht sein. Du bist lediglich ein Produkt meiner Fantasie, meinem Kopf.«
     Raffael grinste. »Nun, dann aber aus einem sehr kreativen hübschen Köpfchen.«
     Ich beschloss seine Anwesenheit als gegeben hinzunehmen, ignorierte seine Schmeichelei und fragte geradeheraus: »Was machst du hier?«
     »Ich beobachte dich und ich frage mich, was du da Schönes schreibst.« Dabei drehte er den Bürostuhl mit mir zusammen wieder zu dem Laptop um, stellte sich hinter mich und stützte sich mit beiden Händen rechts und links neben dem Computer auf. Ich versuchte den Laptop zu schließen, aber Raffael schob sanft meine Hände zur Seite. Aufmerksam las er die letzte Szene durch, die ich zustande gebracht hatte. Langsam richtete er sich auf und setzte sich neben mich. Vorsichtig richtete ich meinen Blick auf ihn. Ich konnte seine Enttäuschung fühlen. Stirnrunzelnd stellte er fest: »Du schreibst ja eine ganz neue Geschichte. Offensichtlich nichts von mir. Du enttäuscht mich, meine Liebe. Wer ist dieser Assardor? Ist er so gut wie ich? Sicher nicht«, beantwortete er gleich selbst seine Frage. »Für die sinnlichen Szenen mit Kate und mir hast du nie diese Stimulationen benötigte«, erwiderte er mit arroganter Miene und wies mit ausladender Geste auf die vielen Kerzen und das schummrige Licht. Er beugte sich über mich und blickte mir direkt in die Augen. »Gib es doch zu: Ich bin dir doch nie aus dem Kopf gegangen.«
     Ich war perplex. Raffael war tatsächlich so überheblich wie ich ihn beschrieben hatte. Ich öffnete den Mund zu einer Entgegnung, schloss ihn dann aber gleich wieder resigniert, da mir dazu einfach nichts mehr einfiel.
     Raffael war mir so nahe, dass ich seinen Atem heiß in meinem Nacken spürte. Die feinen Härchen stellten sich schützend auf und eine wohlige Gänsehaut überzog meine Haut. Ich musste achtgeben, dass ich seinem Charme nicht verfiel. Dieser verfluchte Kerl.
     Energisch schob ich ihn weg und sah im fest in die Augen. »Du hast doch nicht etwa vor, mich auf eine ganz und gar unfaire Art und Weise zu beeinflussen?« Ich verschränkte ein wenig schützend, wie ich mir eingestehen musste, die Arme vor meiner Brust. Mit Unschuldsmiene legte er den Kopf schief, als wollte er sagen, ich doch nicht. Ohne auf seine Antwort zu warten, fuhr ich fort. »Ich brauchte mal ein bisschen Abstand. Diese Geschichte handelt ausnahmsweise mal nicht von Vampiren und das tut mir auch mal ganz gut. Außerdem fehlt mir für die Fortsetzung irgendwie ein vernünftiger Bösewicht.«
     Raffael lächelte überlegen. »Da könnte ich dir durchaus einen Denkanstoß geben, liebste Autorin. Was hältst du von...«,
     Ich unterbrach ihn rigide. »Halt, stop. Nicht so laut. Meine Leser sollen doch nicht alles erfahren.«
     Er blickte sich hektisch um, nickte dann aber wissend. »Ah, ich verstehe, du willst das hier veröffentlichen?«
     Ich nickte beinahe entschuldigend. »Ist doch ein toller Aufmacher. Und die Leser glauben mir das   doch sowieso nicht. Also...«, ich zuckte mit den Schultern.
     Raffael grinste. »Nun gut, dann werde ich dir den Namen der Person ins Ohr flüstern.«
     Ich hörte aufmerksam zu und musste dann zustimmend und bewundernd lächeln. »Stimmt, diese Person ist mir doch glatt entfallen.« Ich rieb mir das Kinn. »Damit ließe sich tatsächlich etwas anfangen. Sobald ich die Geschichte mit der entzückenden Leah und dem Assardor beendet habe, werde ich mich daran machen. Wenn du aber schon einmal da bist. Hast du ein bisschen Zeit und Lust auf ein kleines Interview?«
     Mit dieser einen, mir so vertrauten Geste, schob er skeptisch seine rechte Augenbraue empor. Es war geradezu unheimlich diese fleischgewordene Romanfigur zu beobachten, die genauso agierte und sich bewegte, wie ich sie beschrieben hatte. Dann jedoch nickte er bejahend.
     »Nun gut, meine Liebe. Was willst du wissen? Ich empfinde den Kerzenschein ja bereits als äußerst stimulierend, aber hast du unter Umständen noch einen anständig abgelagerten Rotwein in deinem Keller?« Seine Lippen verzogen sich zu einem sarkastischen Grinsen. »Ich kann ja wohl eher nicht...«
     Ich unterbrach ihn spöttisch. »Nein, davon kannst du tatsächlich nicht ausgehen. Leider ist mein Kühlschrank nicht mit Blutkonserven in den verschiedensten Blutgruppen ausgestattet«, zitierte ich grinsend meine Romanfigur Siobhán. »Aber mit einem schönen Rotwein kann ich dir wirklich dienen.«
     Nachdem wir es uns mit einem Glas Rotwein auf meinem Sofa gemütlich gemacht hatten, ich Bleistift gespitzt und ein Notizheft auf den Knie bereit gelegt hatte, blickte ich ihn erwartungsvoll an.
     Unerwarteter Weise fing er an zu lachen. »Wenn du jetzt noch deine Brille in die Haare zurückschiebst und auf dem Bleistift herumkaust, siehst du so aus wie eine rothaarige Ausgabe von Louis Lane. Einfach entzückend.«
     Ich betrachtete ihn skeptisch, ging dann aber gutgelaunt auf seine Bemerkung ein. »Lass mal deine Süßholzraspelei beiseite. Ganz nebenbei bemerkt: Mit kurzen zurückgegelten Haaren und einem blauen Trikot mit einem roten »S« auf der Brust, würdest du vermutlich einen interessanten Superman abgeben.«  Ich überlegte eine Weile. »Das wäre doch ein bisschen heftig. Ein blutsaugender Clark Kent«, ich prustete los.
     »Können wir jetzt vielleicht beginnen?«, fügte er ein wenig gekränkt ein. Ich nickte und wurde wieder ernsthaft. »Gut. Was möchtest du wissen«, fragte Raffael.
     Ich schob mir meine Haare hinters Ohr zurück und überlegte einen Moment. »Wie hat die Geschichte denn aus deiner Sicht begonnen. Hast du schon länger nach deiner Auserwählten Ausschau gehalten?«
     Er schüttelte den Kopf. »Vater hatte ja drei Jahre, bevor unser Roman ansetzt, sein Amt niedergelegt und war mit meiner Mutter zusammen nach Italien gezogen. Vorgezogener Ruhestand sozusagen.«
     Interessant, machte ich mir eine gedankliche Randnotiz, er sagt unser Roman.
     »Nun ja«, fügte ich hinzu. »Irgendwann musste das Zepter ja zu dir übergehen und du zum Vampirfürsten gekürt werden. Dein Vater hatte das Amt doch schon einige Zeit inne.«
     Raffael holte tief Luft, bevor er sich zu einer Antwort bequemte. »Wenn du mich fragst, hatte er es einfach satt. Er war amtsmüde. Und ganz ehrlich – Sam und Ricco haben die beiden zur Weißglut gebracht.«
     Ich verzog überrascht das Gesicht. »Du meinst, Geoffrey hat hingeschmissen, weil er mit der Erziehung von den Zwillingen überfordert war?«
     »Na ja«, erwiderte er gedehnt. »Das war es nicht nur. Aber eben der i-Punkt auf seinem Entschluss. Außerdem war er der Meinung, ich sei alt genug, mich der Verantwortung zu stellen. Pah. Da hat er mir ja ein schönes Stück Arbeit hinterlassen. Ich habe die ganzen letzten Jahre gebraucht, um mir die Achtung und den Respekt der Clans zu erkämpfen und meinen Führungsanspruch über die Vampirnation zu erhalten. Nun gut«, fügte er hinzu. »bei meinem angeborenen Charme und meinen Führungsqualitäten, der Durchsetzungsfähigkeit, gepaart mit meinem unverschämt guten Aussehen bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr, dass mir das misslingen könnte.«
     Ich sackte entnervt in mich zusammen und verdrehte möglichst unauffällig die Augen.
     Er überging meinen nonverbalen Einwand nonchalant und fuhr fort. »Wie gesagt, ich hatte mich gerade eingearbeitet und alles lief wie es laufen sollte, da brachte sich Dexter ins Spiel.« Raffael schnaubte verächtlich.
     »Wie meinst du das.«
     Ein intensiv blauer Blick traf mich.
     »Ich liebte die Frauen und die Frauen liebten mich«, fuhr er zusammenhangslos fort. »Sie vergötterten mich und ließen sich nur allzugern von mir flachlegen.« Er lächelte, als er mein Zusammenzucken bemerkte. Das war eigentlich eine Ausdrucksweise, die ich ihm niemals in den Mund gelegt hätte. »487 Jahre sind eine lange Zeit. Zeit für vieles. Ich habe mir zwar nie sehr viel aus Beziehungen zu anderen Unsterblichen gemacht, es hat sie natürlich gegeben. Meine Bedürfnisse nach körperlicher Nähe habe ich eher mit denen nach Nahrung kombiniert. Blut und Sex sind eine unschlagbare Mixtur des Lebens. Es war eine schöne Zeit, in der ich frei und ungebunden tun und lassen konnte, was ich wollte.«
     »Und dann kam Dexter«, erinnerte ich ihn sacht an den Beginn seiner Rede.
     »Stimmt. Dexter. Meine Gefolgsleute brachten mir immer häufiger Nachricht, dass Dexter auf der Suche nach meiner Auserwählten sei. Das brachte mich, wie du dir vorstellen kannst, zur Weißglut. Ich hatte weiß Gott noch nicht vor, mich zu binden, aber ich konnte diesem dunklen Vampir auf keinen Fall das mir bestimmte Weib in die Hände fallen lassen.«
     »Das hätte dich deine Vormachtschaft gekostet. Du brauchtest deine Vertraute an deiner Seite, um zu herrschen. Du hättest ganz schön dumm ausgesehen, wenn Dexter sie dir vor der Nase weggeschnappt hätte«, ergänzte ich. Das brachte mir einen weiteren bösen Blick ein.
     »Du sagst es. Es gab für mich nur diese eine Möglichkeit, um den Fortbestand der Herrscherfamilie zu sichern und mir so die Achtung der Clans zu erhalten. Ein Fürst ohne die Chance auf Nachwuchs ist chancenlos, auf Dauer die Führung zu behalten. Und das wusste natürlich auch Dexter. Ich war also gezwungen, meine Fühler nach dieser ominösen Auserwählten auszustrecken. Dabei fühlte ich mich mit meinen knappen 487 Jahren einfach noch viel zu jung, um mich für immer zu binden.«
     »Quasi blutjung«, warf ich mit einem unschuldigen Blick ein.
     Ich befürchtete schon, ich hätte übertrieben, da nahm er den Faden wieder auf.
     »Ganz genau«, nickte er zustimmend, dann sah er sich um, ob auch niemand weiter im Raum wäre. »Das darfst du jetzt aber auf keinen Fall Cathleen weitererzählen. Hörst du? Ich hatte vor, diese Auserwählte zu suchen, sie zu meiner Fürstin zu machen, Kinder zu zeugen und dann mit meinem Leben wie bisher weiterzumachen.«
     »Das Leben eines ungebundenen Junggesellen, eines Casanovas«, führte ich weiter aus.
     Raffael nickte. »Ja. Ich wollte meine netten kleinen amourösen Zeitvertreibe weiterführen, nachdem ich quasi meine Pflichten als Landesvater erfüllt hatte. Meine Auserwählte hätte ja auch eine dumme kleine kichernde Gans sein können, oder von nicht gerade einnehmendem Äußeren. Verstehst du?«
     Oh ja, ich verstand ihn ganz genau. Er, der große Verführer und Führer der gesamten Vampirnation, musste sich den Regeln beugen, die vor Jahrhunderten vom Hohen Rat beschlossen worden waren. Seine Meinung und seine Vorlieben spielten überhaupt keine Rolle, waren absolut irrelevant. Das musste diesen Mann natürlich mächtig wurmen. Ich nickte verständnisvoll.
     »Na und mit Kate hast du mir ja vielleicht einen Wirbelwind an die Seite gestellt. Hättest du für mich nicht eine etwas umsichtigere Person erfinden können?«, fragte er mich vorwurfsvoll.
     »Würdest du sie denn wirklich anders wollen? Denk einmal darüber nach, Raffael«, wollte ich wissen.
     Er seufzte abgrundtief. »Das weißt du doch ganz genau. Natürlich nicht. Sie hat mein Leben umgekrempelt. Ich wusste nicht, was Liebe ist. Nicht die körperliche, obwohl...«, er grinste anzüglich. »... die ist ja auch nicht zu verachten. Nein, ich liebe sie bis zur Selbstaufgabe. Sie ist mein Leben!«
     »Was habt ihr denn jetzt weiter vor? Kommt Alessandra langsam mal wieder klar? Sie kann doch nicht ewig sauer auf Kate sein«, fragte ich neugierig.
     »Mütter«, stieß er angestrengt vor. »Es können die sanftesten Wesen dieser Welt sein. Aber auch so was von stur. Und meine Mutter ganz besonders. Aber mach dir mal keine Sorgen. Ich werde mich schon um meine Mutter kümmern.«
     »Ach je, das klingt ja melodramatisch. Meinst du, du biegst das wieder zurecht?«
     »Warte es ab«, lachte er mir ins Gesicht und wiederholte meine Bemerkung von vorhin., »Wir wollen doch nicht alles schon im Voraus verraten.« Abrupt stand er auf. »Ich werde jetzt gehen«, sagte er.
     »So plötzlich?«, ich war ein wenig irritiert. Hatte ich ihn beleidigt? »Ist etwas geschehen?«
     »Zickenalarm im Haus McConnor«, erwiderte er kurzangebunden.
     »Woher weißt...«, wollte ich wissen, bevor er mich herablassend unterbrach.
     »Du hast doch zwischen Cathleen und mir diese mentale Verbindung geschaffen. Sie ruft mich. Also muss ich los.«
     »Sehe ich dich wieder?«, rief ich ihm hinterher.
     »So schnell wirst du mich nicht los, meine Liebe. Ich werde immer da sein«, fügte er im Fortgehen hinzu.
     »Ist das eine Drohung oder ein Versprechen«, fragte ich ihn mäßig beunruhigt.
     Raffael drehte sich noch einmal mit einem feinen Lächeln in den Mundwinkeln zu mir um. »Ganz wie es Euch beliebt, holde Erzählerin. Ganz wie es Euch beliebt.«

Das Team von Leserkanone.de dankt Heike Rissel für die Zeit, die sie sich genommen hat!

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Autorentags: Heike Rissel
 
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