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BLOGGERNOTE DES BUCHS |
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Lesermeinungen (1) Leseprobe Blogger (1) |
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LESEPROBE |
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Das Team von Leserkanone.de bedankt sich bei Birgit Böllinger vom Büro für Text und Literatur für die Einsendung dieser Leseprobe! Mehr zu Ditha Brickwell gibt es auf ihrer Autorenseite und bei Instagram. Bei Amazon ist das Buch an dieser Stelle erhältlich. Bei diesem Link handelt es sich um Werbung, er enthält einen Affiliate-Code. | | An einem Augusttag wurde Viktoria den Feldsaum entlanggeschoben, hinüber zum steilen Hang gegen den Teufelsgraben zu
Dort ließen sie den Kinderwagen abwärts sausen, die drei, die Fanny, die Geni, der Thomas der Wagen hüpfte und sprang und der Säugling guckte und gluckste, bis der Wagen stand und wieder hinaufgeschrammt wurde und wieder fortgestoßen, dass er nach unten raste und die drei hinterher. Beim dritten Mal schob der Thomas an, mit aller Macht und etwas schief und der Wagen holperte und neigte sich und rüttelte und sein linkes Vorderrad sprang über eine Wurzel, die kippte den Wagen um. Das Kleine flog, ein weißer Ballen klackte gegen den Boden, gegen einen Feldstein. Die drei standen starr. Dann richtete Thomas den Wagen wieder auf und Genoveva holte das Kind, es war weiß und stumm; sie legte es in den Wagen und packte es in seine Decken, es sollte seinen Schrecken ausbrüten und den Schlag ausdampfen und den Schmerz wegschlafen. Das Kleine lag brav und still. Die Mutter am Abend sah, dass es wunderlich blass war, fragte nichts, sagte dem Vater an, dass er den Doktor holen müsse, am nächsten Morgen, vielleicht. Aber das Kind starb in der Nacht. Langes Beten und Kerzenbrennen am Tag darauf und ein kleiner weißer Sarg kam. Und was habt ihr Kinder gemacht?, fragte ich. »Geschwiegen«, sagte die Genoveva, »wir sind uns niemals mehr so nah gewesen als damals im Schweigen; auch die sonst so verräterische Fanny hielt den Mund. Hatten wir doch alle gelacht und geschoben und wer hatte zuerst den Gedanken der Bergab-Bahn zum Teufelsgraben gehabt? Wir wussten es nicht mehr. Erst als der Thomas in Not geriet, weil seine Frau im Kindbett gestorben war wegen eines dummen Fehlers der Ärzte da redeten wir über Viktoria. Es war zweimal unsere Schuld, haben wir uns gesagt, einmal, weil wir sie aus Jux allein bergab fahren ließen und zum Zweiten, weil wir geschwiegen haben, nichts gesagt, nur zugedeckt das, was uns entsetzte. Viktoria, die Kleine, ist deshalb immer bei uns geblieben.« Sie ist auch jetzt wieder da, unter der Lampe am Tisch, über der dunklen Filzdecke der Perlenfädlerin.
Wir Kinder und der Tod, ich weiß, sagte ich zur Genoveva, die auf die Perlen sah und ich auf ihre Hand
und erzählte ihr zum Beweis die Geschichte von meiner ersten Toten in der Steiermark, in der Sommerfrische, als ich sieben Jahre alt war. Wir wohnten in einem Bauernhaus, sahen den Leuten bei der Arbeit zu oder trödelten am Bach entlang
Und das Heu auf den Wiesen duftete und vom Wald her kam der feuchte Hauch. Abends saßen wir auf dem Holzbalkon unter dem Dach und warteten auf die mächtigen Gewitter. Manchmal zog ich mit den Bauernbuben durch den Wald und über die Felder bis zu den Felswänden. Und eines Tages kam der älteste Bub, der Franz, über die Wiese zu mir, »kim, i zoag da was!«, und ich stiefel neugierig hinter ihm her ins Dorf. Vor dem Wirtshaus stehen die Männer in einem Haufen und murmeln und die Frauen haben sich vor dem Hauseingang eines Bauernhofs in eine Reihe gestellt und wir drängeln uns seitwärts dazu, dass die Herauskommenden auf den Steinstufen sich an uns vorbei schieben müssen. Bald sind wir im Vorhaus und aus der Stube rechts leuchtet es rot und gelb und duftet nach Kerzen und Weihrauch und Menschen mit starren Gesichtern kommen heraus und was drinnen ist, sehe ich lange nicht weil ich bin klein und vor mir sind dunkle Stoffrücken von zwei Bäuerinnen; ich höre nur das Murmeln der Rosenkranzgsetzeln, den Schmerzensreichen haben sie gebetet, glaube ich und der Franz flüstert mir zu: »Totenwache«. Wie ich endlich von den Nachdrängenden hineingeschoben werde und die Bäuerinnen links zur Seite zu den anderen Frauen gehen, stehe ich vor einem Bett, auf dem ein Mädchen liegt. Es trägt sein weißes Kommunionkleid und einen Kranz aus weißen Seidenblüten im Haar. Sein Gesicht ist wie weiches Wachs, zwischen Grau und Elfenbein und seine Hände starr, umwunden von einem Rosenkranz aus Perlmuttperlen. Ich spüre, jeden Augenblick wird sich der Körper bewegen, vom Murmeln und vom Weinen aufgeweckt oder der Herr Jesus wird kommen und das Kind bei der Hand nehmen weil die Menschen auf der anderen Seite der Aufbahrung so angespannt darauf schauen und weil die Frauen an der Rückwand des Zimmers so gleichmäßig beten und weil alle Leute aus dem Dorf da sind aber es geschah nichts, da war nur das kleine Mädchen, das ich öfter auf der Dorfstraße gesehen hatte. Es war an einem Stromschlag gestorben, erzählte später der Franz, sie hatte eine kaputte Nachttischlampe angefasst, die Hand sei schwarz, wie verbrannt
Das Mädchen war nur zwei Jahre älter als ich! Und denke ich heute an meinen einzigen Sommer zusammen mit der Mutter, erscheint auch immer das tote Mädchen in meinen Bildern. Die Perlenfädlerin nickte und die Nadelspitze hob die Perlen mit gleichmäßigem Schwung. |
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