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BLOGGERNOTE DES BUCHS |
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Lesermeinungen (1) Leseprobe Blogger (1) |
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LESEPROBE |
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Das Team von Leserkanone.de bedankt sich bei Birgit Böllinger vom Büro für Text und Literatur für die Einsendung dieser Leseprobe! Mehr zu Ditha Brickwell gibt es auf ihrer Autorenseite und bei Instagram. Bei Amazon ist das Buch an dieser Stelle erhältlich. Bei diesem Link handelt es sich um Werbung, er enthält einen Affiliate-Code. | | Im Klassenzimmer, Kopf auf der Bank, schlief sie schnell wieder ein. Der Lehrer war ein Musiker, stolz, dass er ein Nachfolger des Bruckner Anton an derselben Schule Lehrer war. Er spielte die Geige und neigte sich der Genoveva zu, weil da eine Stimme war, zart und schön, das Mädchen aber zu müde und zu schüchtern, um laut aufzusingen. Die Genoveva lernte mit ausladend großen Buchstaben zu schreiben und langsam zu lesen, ihre Finger verfolgten die Schrift Silbe für Silbe. Ihre gescheite, sicher den Punkt treffende Rede, ihren ironischen Witz und ihre Sprachbilder bezog sie von woanders her; die Herausbildung ihres Verstandes geschah in einer anderen Schule, das werde ich später erzählen. Ich sitze also auf diesem Küchensessel neben der Genoveva und darf mit einer langen Nadel wieder die kleinen Randperlen auffädeln. »Der Brunnen«, erzählt sie, »war die Schmerzstation. Er war tief und wir Kinder mussten am Strick den Kübel hochziehen. Um fünf Uhr früh, wenn du müde bist vom kurzen Schlaf und unachtsam, dann kippt der Kübel, das Wasser schlappt und ist verschüttet.« Eins, zwei, drei, vier zählte die Genoveva und doch wusste die Hand schon im Voraus, wann die Perlenpartie vollzählig war und sie sich weiterschieben musste, umschwenken, die Nadel stechen lassen. »Mit wunden Händen im Winter im Schneegrau«, sann die Genoveva, »noch vor der Dämmerung den schweren Kübel schleppen, fünfundzwanzig Liter waren es glaube ich Jedenfalls: Im März 1914 nahm der Vater sein Geld aus dem Versteck im Stübel und lieh welches dazu vom Ku?era und ging zum Bahnhof und fuhr nach Wien, um eine Pumpe zu kaufen.« Die Genoveva schaut mich an und ich warte auf die Erlösung von der Not. »Wir hatten ihn gleich entdeckt, als er zurückkam.« Am Hügelkamm, am Feldsaum, bewegte sich ein Schattenriss, scharf gegen den Himmel gezeichnet. Etwas schritt vorwärtsgebeugt, mit den Beinen ausgreifend und wo ein Rucksack eine schlappe Linie malen sollte, reckte sich eine steile Zacke gegen den Himmel. Es kam näher, dieses Wesen, über den Wiesenweg herzu und man sah ein blitzendes Maul über dem Hut schweben und einen schwarzen Kasten unter dem Arm. Die Gestalt verschwand hinter dem Schupfen mit dem Vorratsholz und erschien vor dem Vorhausfenster: ein monströser Trichter über einem Hut und dem Vater-Gesicht darunter. Statt der Pumpe zog ein Grammophon bei den Divackys ein; und als Lohn für die Mühe an der Seilwinde und für die Last des Wasserkübels gab es am Abend Walzermusik. Auch am Sonntagnachmittag. Zwischen mittags-Tisch-abräumen und Geschirr-im-Schaffel-waschen und abends-Kühe-füttern konnte die Genoveva dem Tanz der Nachbarn zuschauen. »Ja, die Nachbarn! Du hast richtig gehört. Die sind gekommen, um Krapfen zu essen und das Trichtermonster zu schauen, das der Vater immer wieder aufzog. Selbst die Dienstleute vom Schloss waren da.« Sie hörte auf zu fädeln und sah auf das kleine Holzkreuz an der Wand im Lichtschein ober der Lampe. »Schloss Schieferegg«, sagte sie, »hieß es und soll vor Zeiten irgendwelchen Rittern zu Lehen gegeben worden sein, die mit den Bürgern von Steyr stritten. Einen der Ritter sollen sie gefangen genommen haben nach einer regelrechten Belagerung, hat uns der Lehrer erzählt; später gehörte es den Tillys, der berühmten Feldherrnfamilie aus Brabant und dann dem Stift Sankt Florian. Dass die es wieder auslassen haben, ist ein Wunder. Zu meiner Jugendzeit waren es gewöhnliche, reiche Leute, die auf dem Schloss wohnten; die taten so fein, dass selbst ihr Kammerdiener weiße Zwirnhandschuhe trug. Wenn er bei uns erschien, leuchtete weiß seine Hand am bunten Rücken seiner Tänzerin. Er schwang sein Tanzmädel im Kreis mit gleitendem Schritt und ohne zu hopsen.« Wochentags weinte Genoveva oft aus Erschöpfung. »Wein nur«, sagte die Stiefmutter und rieb die Wäsche über die Waschrumpel ohne aufzuschauen, »musst weniger Lulu gehen.« Und die Lausbuben lauerten am Teufelsgraben, wenn die Genoveva müde von der Schule heimwankte. Nach vier Kilometern Feldweg hat sie nur noch die Brücke und den steilen Waldhang vor sich, da gibt es keinen Ausweg. Die Buben hüpfen vom Bachufer herauf und schwingen schreiend ihre Haselgerten
»Böhmschädl! Böhmschädl!« »Was soll ich machen«, fragte die Genoveva die Stiefmutter und hob Grünfutter in die Raufe, »schrei zurück Mostschädl, aber lauter«, sagte die Mutter und stieß den Kopf gegen den Bauch der Kuh, dass die einen Schritt zurückwich und sie das Euter besser fassen konnte. Böhmschädl, Mostschädl! Der kleine Bruder Thomas war größer geworden, hatte sich eine Gerte geschnitten, kam ihr auf dem Waldweg entgegen und half ihr schreien: Mostschädl! »Das waren sie wirklich beschränkte, rotznasige Dummschädel«, erzählt sie, jetzt im Kleine-Perlen-Haufen schürfend, dabei stößt sie ihren Stichelfächer zwischen die raschelnden, knirschenden Winzling-Perlen, sodass sich immer genug Kügelchen auf die nickenden Nadeln schieben
»Ja, beduselt waren sie, weil man ihnen schon in der Wiege einen Zutz gegeben hat das war ein Flaschenkorken mit einem Stück Stoff umwickelt, der mit gezuckertem Most getränkt war. So lernten die Bauernkinder früh das Saufen und Stillhalten in ihren Körben, dass ihre Mütter und Geschwister in Haus und Stall arbeiten konnten. Und wenn sie größer wurden, waren sie halt blöd.« Im Sommer gab es auf dem Hof eine neue kleine Schwester. Viktoria. Sie wurde in die Obhut der Kinder gegeben, während die Mutter auf dem Feld ihre Mühe hatte. Viktoria lag im Kinderwagen im Schatten. Viktoria wurde herumgeschoben und mitgenommen: den Waldpfad hinunter ausschwärmen zum Schwammerl suchen hinüber zur Kiesgrube, wo die Kinder kleine Schützengräben aushoben und winzige Soldatengräberhügel häufelten. Die Genoveva schnitt aus Ästen die Kreuze zurecht. Später war der Krieg für die Kinder die große Hungersnot, zu der Zeit noch Erzählung: dass sie in Gräben liegen, dass viele sterben, dass es im Dorf schon zehn sind, die nicht zurückkommen werden. Zehn junge Burschen. »Die verlieren ihre Söhne nach und nach«, sagte der Vater »und meine Kinder wachsen.« |
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