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BLOGGERNOTE DES BUCHS |
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LESEPROBE |
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Das Team von Leserkanone.de bedankt sich bei Ellen Theis für die Einsendung dieser Leseprobe! Bei Amazon ist das Buch an dieser Stelle erhältlich. Bei diesem Link handelt es sich um Werbung, er enthält einen Affiliate-Code. | | Prolog
In den frühen Morgenstunden schob die junge Mutter mit der Holzkarre zu dem kleinen Verschlag hinüber, den sie bisher gemieden hatte. Der Tau auf dem Gras war zu Kristallen gefroren, die die Sonne schnell verschwinden ließ, wenn sie erst einmal über die Berge geklettert war. Das Erste, wonach ihre Mutter sie fragen würde, wenn sie aus dem Krankenhaus zurückkam, war der Gast. Ob sie in die Hütte geschaut hätte. Ein unangenehmer Geruch wehte ihr entgegen. Sie kannte ihn. Entschlossen zog sie an dem Holzgriff, die Tür schwang auf. Ein Schwall Luft quoll aus der Hütte, mit ihm nur wenige Fliegen. Sie wich hinter die Tür zurück. Es stank bestialisch. Mit einem Tuch um Mund und Nase betrat sie den kleinen Raum. Auf der Pritsche lag eine Gestalt, die vollständig bekleidet war. Durch das kleine Fenster auf der Rückseite fiel genug Licht hinein, um zu erkennen, dass die Gestalt ein Mann war. Er hatte einen grauen Bart, eine Brille und trug noch einen Hut auf dem Kopf. Warum er nicht aus der Hütte herausgekommen war, verstand sie nicht. Sie trat näher an die Pritsche und sah, dass der Mann nicht sehr groß und nicht sehr dick war. Insekten krabbelten über sein Gesicht in den Hemdkragen und die Kleidung. Die junge Mutter wandte ihren Blick zum Ende des Bettes. Der Mann hatte noch seine Schuhe an den Füßen. Sie musste ihn in die Karre zerren, um ihn vom Hof zu transportieren. Sie hoffte, dass die Kleidung nicht zerriss, wenn sie daran zog. Sie wollte ihn nicht anfassen müssen. Dann fiel ihr ein, wie ihr Onkel das Tuch zusammenraffte, auf das er sie die gesammelten Münzen hatte werfen lassen. Das konnte sie ausprobieren. Sie hob die Karre durch die Tür und stellte sie hinter der Pritsche ab. Dann zerrte sie die Zipfel der Decke an den Enden heraus und zog die unteren beiden über den Rand der Karre. Der Körper bewegte sich mit dem Laken, die Beine glitten über den Rand. Mit aller Kraft zerrte sie den Unterkörper in die Karre, dann hielt sie erschöpft inne. Eine gelbweiße Made wand sich aus einem Nasenloch hervor und fiel in den grauen Bart des Mannes. Sie erschrak und trat einen Schritt zurück. Kurz wandte sie sich zur Tür, versuchte, einen Hauch der kühlen Morgenluft einzuatmen. Sie musste es erledigt haben, bevor ihre Kinder aufgestanden waren. Sie sollten das nicht sehen. Sie drapierte ihr Tuch fest um Mund und Nase. Sie würde die oberen Zipfel anfassen und sie hinüberzerren, bis sie an die unteren heranreichten. Damit würde auch die obere Hälfte in die Karre rutschen. Einige Fliegen flogen auf, als sie an das obere Ende der schmalen Pritsche trat. Sie wedelte mit der Hand durch die Luft, was die Insekten kurz verscheuchte, nicht aber den Gestank. Sie wandte den Blick ab, um dem Mann nicht ins Gesicht zu schauen, als sie nach den oberen Zipfeln griff. Je näher sie an den Mann herankam, desto bestialischer stank es. Sie musste den Kopf zum Fenster heben, durch das ein Luftzug strich. Sie fühlte die Kühle auf ihrer Stirn. Mit angehaltenem Atem nahm sie die oberen Lakenenden und zog sie gerade über den Körper zum hinteren Ende der Pritsche, wo die Karre stand. Der Oberkörper hing im Laken und sie durfte nichts falsch machen, weil er sonst von der Holzbank rutschte. Aufheben wollte sie den Mann nicht. Konzentriert legte sie die Zipfel übereinander, wickelte sie um ihre Hände. Sie stemmte die Oberschenkel gegen den Rand der Karre und ruckte heftig das Laken zu sich. Wie von allein rutschte der Körper in die Karre und bog sich zu einem runden Häuflein. Schnell schlang sie die Enden des Lakens umeinander und knotete sie fest zusammen. Sie nahm die Karre auf und zog sie rückwärts zur schmalen Tür. Doch sie passte nicht hindurch. Ihr traten Tränen in die Augen. Wut und Verzweifelung machten sich in ihr breit. War es das, was ihre Brüder sich gedacht hatten? Wo war all das Geld, das sie für einen solchen Gast bekamen? Warum war dieser Mann nicht wie so viele andere einfach weggegangen? Warum hatte er auf der Pritsche gelegen und auf den Tod gewartet? Sie biss die Zähne zusammen und riss mit aller Gewalt die Karre nach hinten, so dass sich die Bretter rechts und links der Tür nach außen bogen. Sollte die Tür doch kaputt gehen, der Mann musste aus der Hütte verschwinden! Das Holz splitterte und die Karre rutschte aus dem Durchgang. Jetzt stand sie auf dem Hof. Sie stellte die Karre ab und wischte sich über die Stirn, wedelte ein paar Fliegen fort. Sie betete, dass die Hunde den Gestand vom verwesenden Fleisch nicht witterten. Es würde ausreichen, wenn sie den Kadaver später irgendwo ausgraben würden. Rasch hob sie die Karre wieder auf, überquerte den Hof. Der nasse Boden saugte sich am Rad fest, so dass sie alle Kraft brauchte, um vom Haus weg zu kommen. Hinter dem Gemüsegarten begann eine Wiese, in der ihre Füße zwar nass, aber das Schieben leichter wurde. Mit jedem Schlag des Körpers gegen die Karre stieg aus dem Laken eine Wolke von Gestank auf. Sie hob den Kopf, um die frische Luft zu atmen. Über die Wiese stieg das Gelände stetig an. Sie würde den Hang hinaufschieben und zwischen den aufsteigenden Felsen nach einer Kluft suchen, in die sie die Karre entleeren konnte. Der Schweiß rann ihr über den Körper, sie keuchte jetzt bei jedem Schritt. Sie würde es nicht bis zu den Felsen schaffen. Nach einigen weiteren Schritten lenkte sie die Karre zum Wald, der in gut hundert Metern begann. Es war einfacher, die Leiche unter dem Laub des Waldes zu verstecken. Die Wildschweine würden den Mann noch vor den Hunden finden.
Teil 1
Vielleicht sollte ich dieses Mal etwas sagen, dachte Gesine Kassen, als sie die Gardine zur Seite schob und durch den schmalen Spalt zwischen Fensterrahmen und Gardinensaum hindurchblickte. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße ging ein junges Paar über den mit Unkraut überwucherten Plattenweg auf das Haus Nummer sieben zu. Sie hielten sich an den Händen und blieben kein einziges Mal stehen, bis sie die Haustür erreicht hatten. Ohne sich umzusehen, schlossen sie auf und gingen hinein. „Das geht nicht gut aus“, murmelte die Frau mit den zerzausten grauen Haaren und ließ die Gardine sinken. Sie wandte sich ab und setzte sich wieder in ihren Sessel. Statt den Stickrahmen aufzunehmen und die rote Mohnblüte zu vervollständigen, die die Tischdecke zieren würde, versank sie in Gedanken an den Tag vor fast 40 Jahren, an dem Dietrich und sie in ihr Haus in W. eingezogen waren, in dem sie noch immer lebte.
Es ist ein sonniger Tag im April, der Wind wirft die leichten Möbelstücke um, die die Umzugshelfer auf dem Gehsteig abgestellt haben. Gesine will ihnen helfen, aber Dietrich scheucht sie ins Haus. Sie soll darauf achten, dass jedes Möbel und jeder Karton in das richtige Zimmer getragen werden. So steht sie stundenlang im Flur und gibt Anweisungen: zweites Zimmer links, drittes Zimmer links, erstes Zimmer rechts. Hinterher stellt sich heraus, dass Gesine die Zimmer auf der linken Seite verwechselt hat: Das letzte Zimmer ist Dietrichs Hobbyraum, das mittlere das Schlafzimmer und das erste, gegenüber der Küche, der Hauswirtschaftsraum. Dietrich hat es das Bügelzimmer getauft, weil Gesine dort ihr Bügelbrett aufstellen kann. Nun stehen die Kartons mit der Modelleisenbahn neben dem neuen Heißwasserspeicher und die Waschmaschine in Dietrichs Hobbyraum. Zum Glück sind die Umzugshelfer noch nicht abgefahren, als Dietrich den Fehler entdeckt. Er rennt aus dem Haus und lässt die Männer wiederkommen. Sie schleppen die Waschmaschine über den Hausflur in das vordere Zimmer und platzieren sie neben dem Wasserhahn. Dietrich steckt ihnen einen extra Fünf-Mark-Schein zu und bedankt sich. Kaum ist der Umzugswagen weggerollt, stellt er Gesine zur Rede. Damals ist sein dunkelbraunes Haar noch voll und dicht, seine schmale Gestalt wirkt sehnig und trainiert. Seine grauen Augen werden immer dunkler, je mehr er sich Gesine gegenüber ereifert: Es sei doch so einfach, sich die Aufteilung der Zimmer zu merken, wieso sie dazu nicht in der Lage sei, eine so einfache Aufgabe richtig im Kopf zu behalten, ob es ihr immer Mühe mache, sich die einfachsten Dinge zu merken, gerade bei der Aufteilung der Räume habe sie doch mitsprechen dürfen … Es ist der erste der unzähligen Monologe, der auf Gesine einströmt. Als junge Ehefrau sagt sie nichts, sie ist sich sogar ihrer Schuld bewusst. Sie hat auch nicht den Mut, ihn zu unterbrechen, weil Dietrich ja Recht hat. Auf die Idee, dass er aus seiner Sicht immer Recht hat, kommt sie nicht. |
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