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LESEPROBE |
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Das Team von Leserkanone.de bedankt sich bei Frau Hauck vom pinguletta Verlag für die Einsendung dieser Leseprobe! Mehr zu Christopher Tefert gibt es bei Instagram. Bei Amazon ist das Buch an dieser Stelle erhältlich. Bei diesem Link handelt es sich um Werbung, er enthält einen Affiliate-Code. | | Ein Weg führt hinauf
Voller Ehrfurcht stand Oni am Ufer des großen Sees und sah hinüber zu dem Berg, der sich aus dessen Mitte erhob. Häuser bedeckten die Hänge so vollständig, dass es ihm schien, als stünde er einem gewaltigen Turm gegenüber. Von der Spitze ragten vier riesige Götterstatuen in den Himmel wie Zacken einer Krone. Rasch schlug er das Zeichen der Vier und sandte ein kurzes Gebet an Dree. Dann besann er sich auf das, weswegen er hierhergekommen war, und senkte schuldbewusst den Blick. Würden die Götter ihm zürnen, wenn er versuchte, seine Schwester zu retten, obwohl sie gegen das höchste aller Gebote verstoßen hatte? Mit einem Mal wurde ihm die Größe seiner Aufgabe bewusst und er fühlte sich ganz verloren. Er atmete tief durch und richtete seine Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt. Erst einmal würde er sich darum kümmern, seine kleine Herde zu verkaufen. Er wandte sich zu den Tieren um und mit ein paar schnellen Pfiffen wies er seine beiden Hunde an, die Schafe hinter ihm herzutreiben.
Je näher er der Brücke kam, die den See von Wedheim aus zum Fuß des Windemere überspannte, desto dichter wurde das bunte Treiben um ihn herum. Da waren andere Bauern mit Vieh und welche mit Karren voller Stoffe oder Feldfrüchte. Musikanten sangen oder spielten auf ihren Fideln. Aus dem Mund eines Feuerspuckers schoss eine Stichflamme hervor, worauf eine Schar Hühner in einem Käfig wild losgackerte. Am Zugang zur Brücke standen mehrere Wachen und versperrten jenen den Weg, die nicht von einem Mann in goldgelbem Gewand durchgewunken wurden. Ein ebenso gekleideter, dicker Mann baute sich unvermittelt vor Oni auf und blickte ihn streng an. »Wem gehören diese Tiere, Junge?« »Das sind meine, Herr. Ich bin hier, um sie zu verkaufen.« Skeptisch zog der Zöllner eine Augenbraue in die Höhe. »Zum ersten Mal hier, was?« Oni nickte eifrig. »Du bist zu jung, geh nach Hause!« Damit wandte der Zöllner sich ab. In Oni krampfte sich alles zusammen. »Herr, bitte ... ich muss doch auf den Markt und die Tiere verkaufen. Sonst können wir unsere Steuern nicht zahlen.« Der Mann blieb stehen, drehte sich langsam um und musterte Oni einen Moment lang. Ein Lächeln legte sich über sein Gesicht. »Wenn das so ist, will ich mal ein Auge zudrücken. Ich zähle, Moment, vierzehn Tiere. Je Tier fünf Jinnies macht also siebzig Jinnies, wenn du die Brücke passieren willst.« »Sieben Korrat!«, entfuhr es Oni erschrocken. »So viel hab ich nicht. Und die Hunde will ich ja gar nicht verkaufen.« So schnell, wie es gekommen war, verschwand das Lächeln auch wieder. »Und woher soll ich das wissen, hm? Wenn du das Geld nicht hast, bekommst du auch keinen Passierschein.« Oni schluckte schwer. Zwei Korrat und zwölf Jinnies hatte er dabei, aber das reichte hinten und vorne nicht. Gedankenverloren kraulte er Dante, dem kleineren seiner beiden Hütehunde, den Kopf und ließ den Blick über die wartende Menge wandern. Dann traf er eine Entscheidung und verkaufte zwei seiner Tiere an einen der anderen Schäfer. Auf dem Markt hoffte er deutlich mehr zu erzielen, doch dafür musste er erst einmal dorthin kommen. Er erspähte den Zöllner und zählte ihm sechs Korrat in die Hand. Der Mann ritzte etwas in eine Wachstafel, presste anschließend seinen Ring darauf und drückte sie Oni in die Hand. »Viel Erfolg auf dem Markt. Und denke daran: Die Götter sind milde, der Herr von Windemere nicht. Halte dich an die Gesetze.« Oni pfiff und die Hunde trieben die restlichen Schafe zur Brücke. Dort nahm der zweite Zöllner den Passierschein in Empfang. »Zehn Schafe zu je zwei Jinnies?« Sein Blick wanderte über die Tiere. »Passt. Du kannst weiterziehen.« Damit ließ er den völlig verdatterten Oni stehen. »Aber, aber ...« Mehr brachte dieser nicht über die Lippen. Grollend sah er zurück, aber was hätte es ihm schon gebracht umzukehren? Seine Mutter hatte ihn gemahnt, in der Stadt niemandem zu vertrauen. Seufzend wandte er seinen Blick wieder nach vorne. Ab jetzt würde er besser aufpassen und sich nicht mehr übertölpeln lassen. Da es auf der Brücke nur langsam voranging, hatte er Muße, die Hauptstadt mit den Augen zu erkunden. Am Fuß des Berges, dort, wo er sich aus dem Blau des Sees erhob, hatte man große, hölzerne Terrassen angelegt. Diese schwammen wie Boote auf dem Wasser und auf ihnen fand der Markt statt. Um den Windemere herum zog sich die Hauptstraße wie eine Spirale hinauf bis zu dem Plateau an dessen Spitze, viele hundert Schritt über dem Wasser. Das, was er aus der Ferne für Häuser gehalten hatte, waren aus dem Stein gearbeitete Fassaden. Unten am Berg wirkten diese noch einfach und schlicht, wurden jedoch mit zunehmender Höhe immer prächtiger. Weit oben gleißte der Palast golden in der Nachmittagssonne. Auf seiner Reise vom Faernthal hierher hatte Oni gehört, dass darüber noch der Tempel der Vier lag, doch den vermochte er nicht zu erkennen. Die Spitze des Windemere sah aus, als wäre sie mit einer gewaltigen Klinge abgetrennt worden, und von dort oben herab blickten in unsterblicher Gelassenheit die Statuen der Vier. Ihre Körper waren einander zugewandt, doch ihre Köpfe saßen falsch herum auf den Schultern, was sie ganz seltsam und fremd wirken ließ. Zwischen sich, so hatte es Priester Tywin bei seinen seltenen Besuchen in Faernheim erzählt, hielten die Götter die Finsternis gebannt. Am frühen Abend erreichte Oni endlich den Windemere und suchte auf dem Markt nach einem Gehege für die Tiere. Da er sich nicht noch einmal übervorteilen lassen wollte, ließ er sich Zeit, und so brach die Nacht schon an, als er endlich eines gefunden hatte. Mit Bedauern stellte er fest, dass der Futtertrog nur spärlich gefüllt war, doch er war zu müde, um jetzt noch etwas daran zu ändern. |
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