Relikt
Betty war unheimlich nett, selbst jetzt noch. Dabei hatte sie doch Familie und saß bestimmt selbst bereits auf glühenden Kohlen. Doch ihr war in diesem Augenblick keine Spur Ungeduld anzumerken. Sie nahm sich sogar die Zeit für ein wenig Smalltalk. Dann aber war es so weit, er konnte den Moment nicht mehr guten Gewissens hinausschieben. „Gib auf dich Acht, Betty, ja?“ „Du auch ...“ Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „Vielleicht geschieht ja doch noch ein Wunder und wir haben Glück.“ Er glaubte nicht an Wunder. Und sie auch nicht, so gut kannten sie einander mittlerweile. Trotzdem nickte er, bis er sich besann, dass sie es ja gar nicht mehr sehen konnte. Die Bildübertragung war bereits vor einer Weile abgeschaltet worden, angeblich, weil sie zu viel Energie kostete. Aber er erinnerte sich noch sehr gut daran, wie sie aussah. „Ich hab dich gern, Betty.“ Im Grunde weit mehr als das, aber ihr das zu sagen, hätte nun auch nichts mehr geändert, und die Dinge nur unnötig schlimmer gemacht. Doch seine Stimme war heiser, das ließ sich einfach nicht vermeiden. „Ich dich auch.“ Sie flüsterte, dann war die Verbindung tot. Das war’s jetzt also. Das war sein letzter Kontakt mit einem menschlichen Wesen. Das letzte Mal, dass er eine echte Stimme gehört haben würde. Dass er eine Antwort bekam, die nicht irgendeinem Tonband entstammte. Sean lehnte sich zurück und hatte einen Augenblick lang das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, einfach zu kollabieren. Er spürte, wie Panik ihn übermannte, wie der Drang, aufzustehen und alles kaputt zu schlagen, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, kurz beinahe übermächtig wurde. Mühsam rang er um Beherrschung. |