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BLOGGERNOTE DES BUCHS |
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noch nicht bewertet
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Durch den wilden Südosten
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Seltsame Zufälle gibt's: Erst wenige Tage ist es her, dass wir hier bei Leserkanone.de mit Tony Parsons' zweitem Max-Wolfe-Roman »Mit Zorn sie zu strafen« ein Werk besprachen, in dem Roma eine gewichtige Rolle spielten - und nun ist es schon wieder soweit. Während die »Fahrenden« bei Parsons nicht unbedingt in einem guten Licht erschienen, haben wir uns dieses Mal jedoch ein Buch vorgenommen, dessen Autor zweifelsfrei weit respektvoller an die Sache herangegangen ist. Willkommen zur Buchbesprechung der »Karpatensaga« von Hans-Dieter Kreuzhof!
Der 1950 geborene Hans-Dieter Kreuzhof ist mir vorher noch nicht in Buchform begegnet, allerdings scheint es aus seiner Feder auch nur noch ein Kinderbuch zu geben. Was natürlich nichts heißen muss, und so viel kann ich schon mal voranschicken: Qualitativ hinkt er vielen alteingesessenen Hasen, von denen ich schon stapelweise Bücher gelesen habe, kein Stück hinterher, im Gegenteil. Kreuzhof scheint selbst oft ein Reisender gewesen zu sein, denn er war in halb Europa unterwegs, studierte das Judentum, setzte sich mit religiösen Mystikern auseinander und eben auch sehr oft mit Sinti und Roma. Er selbst beschreibt seinen Roman als »Magischen Realismus«, ich hingegen gebe nichts auf Schubladen und betrachte die »Karpatensaga - In der Ferne« einfach nur als einen sehr lesenswerten Roman. Das Buch wurde im September des vergangenen Jahres via »tredition« veröffentlicht, einem Service für Selfpublisher, der mir namentlich schon länger geläufig ist, dessen Produkte ich jedoch zuvor noch nie in der Hand gehalten hatte. Die Taschenbuchversion, die mir zur Verfügung stand, sieht jedenfalls sehr professionell aus, auch dank des von der schweizer Grafikdesignerin Sabina Acker gestalteten äußerst atmosphärischen Covers. Ich bin eigentlich kein Fan der Verwendung von Glanzcovern, da ich sie eher mit Ratgebern assoziiere, dieses hier macht jedoch einen rundum gelungenen Eindruck.
Das Buch selbst ist rund 370 Seiten stark und kann in drei verschiedenen Versionen erworben werden: In der Taschenbuchversion, die ich gelesen habe und die 13,99 Euro kostet, in einer E-Book-Variante für preiswerte 2,99 Euro und obendrein in einer gebundene Ausgabe für 22,99 Euro. Was es damit auf sich hat, kann ich nicht nachvollziehen, aber womöglich gehört diese Variante bei tredition ja einfach zum Standardprogramm. Wenn dem so ist, dann schadet der Aufwand natürlich nicht, denn zumeist sehen die gebundenen Versionen einfach noch ein Stückchen besser im Regal aus. In seinem Buch erzählt Kreuzhof die Geschichte zweier Brüder namens Baro und Kalo, die in Armut in einem kleinen von Roma bewohnten Dörfchen am Rande der Karpaten leben, dieses jedoch nach einem Zerwürfnis mit ihrer Familie verlassen. Sie folgen damit den Worten ihres Onkels, der stets behauptete, in der Ferne sei alles besser. Schon im Prolog erwähnt Kreuzhof, dass die Zeit am Fuße des Gebirges im Gegensatz zu den großen Städten Rumäniens vor langer Zeit eingefroren scheint, und tatsächlich findet man sich direkt von Beginn an in einer Atmosphäre wieder, die nur wenig mit dem Hier und Jetzt zu tun hat, keine Spur der gewohnten Moderne. Stattdessen begibt man sich mit dem Autor auf eine Reise in eine Welt, in der die Zeit keine Rolle zu spielen scheint, Kreuzhof hat dies von der ersten Seite bis zum Schluss sehr gut in Worten eingefangen. Der Leser wird Zeuge des Zuges der Brüder durch die Wildnis der titelgebenden Karpaten, und, wenn man so will, auch Zeuge einer umfangreichen menschlichen Reifung innerhalb eines mystischen, wenn nicht gar märchenhaft wirkenden Settings. Sozusagen haben wir hier die ultimative Roma-Mystery-Version eines Coming-of-Age-Romans, in dem die Spreu vom Weizen und damit das, was im Dasein wirklich zählt, vom Bedeutungslosen getrennt wird. Auf dem Weg dahin wird die Wildnis durchstreift, es kommt zur Konfrontation mit lebenden Leichen, Totengeistern und einem »Phuvusch«, einem Zwerg, den man intensiv in Erinnerung behalten dürfte. Und selbstverständlich gibt es auch positive Begegnungen, einschließlich dem romantischen Aspekt, der für viele Leserinnen einfach dazugehört und der deshalb nicht unter den Tisch gekehrt werden sollte.
Wenn man ein Haar in der Suppe finden will, dann erkennt man das einzige Problem, das ich mit dem Buch hatte, am Begriff des »Phuvusch«. Für mein einfältiges mitteleuropäisches Ohr klingen einige Begriffe und Namen etwas seltsam. Das geht übrigens schon bei den beiden Brüdern los. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber wenn ich einen Namen in einem Roman lese, dann bildet sich vor meinem inneren Auge schon ein grobes Bild, wie die Figur wohl aussehen könnte, noch ehe sie beschrieben wird. »Baro« und »Kalo« würde ich eher mit grobschlächtigen Nebenfiguren assoziieren. Natürlich ist das meine eigene Voreingenommenheit, aber sie führt dazu, dass ich mich erst einmal daran gewöhnen musste, mich mit »Cohanos«, »Gheorgheni«, »Lacul Izvorul Muntelui« und dergleichen zu arrangieren. Zum Glück wurden vor allem die Namen der wichtigsten Protagonisten auch für das ungeübte Ohr sehr einfach gehalten, so dass dies tatsächlich nicht mehr ist als ein vorübergehender Effekt. Und der Rest? Der ist einfach großartig. In getragenem Tempo und mit vergleichsweise leisen Tönen erzählt Hans-Dieter Kreuzhof eine Geschichte, die einfach rundum gelungen ist. Und die obendrein im höchsten Maße außergewöhnlich ist, nicht etwa nur durch das zu Grunde liegende Setting, sondern auch durch all das, was im Laufe der 370 Seiten geschieht. Obwohl Kreuzhof aus der Draufsicht eines allwissenden Erzählers berichtet und nicht in die Köpfe der Figuren hineinblickt, schafft er es, der Welt und den Charakteren mit Liebe zum Detail Leben einzuhauchen und sie im Laufe der Zeit nachvollziehbar weiter zu entwickeln. Dabei wird an keiner Stelle in Richtung Kitsch abgedriftet, kein Klischee wird geritten, Kreuzhof macht das vollauf überzeugend. Und so ganz nebenbei bringt er den Lesern auch noch die Gebräuche der Roma, ihre Sitten, vor allem aber deren Volkssagen und/oder Mythologien nahe. Entweder hat Kreuzhof also sehr gut recherchiert, oder aber er kennt sich von Haus aus wirklich richtig gut aus. Denn dass er hier durchaus auch informativ ist, schüttelt er so locker nebenher aus dem Ärmel, dass es die Geschichte an keiner Stelle ins Stocken kommen lässt. Und so haben wir hier ein Buch, das sich als ein kleines Goldstück entpuppt, obwohl ich es vermutlich nicht anhand des aufgedruckten Klappentextes gekauft hätte, der sich von der im Netz zu findenden Buchbeschreibung unterscheidet und kaum Einblick in das gibt, das einen erwartet. Wie auch immer man nun die Genre-Schublade bezeichnen möchte, in die man »Karpatensaga - In der Ferne« einsortieren möchte, erhält man hier vor allen Dingen einen von Grund auf lesenswerten Roman, der mit einem hohen Maß an Eigenständigkeit daherkommt und der einen von der ersten Seite bis zum Schluss in seinen Bann zieht. Es lohnt sich also, ihm eine Chance zu geben! |
– geschrieben am 19. Februar 2016 |
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